Samstag, September 02, 2006

02.09.2006, Das Campii im zürcher Nachtleben

Dass ich kein Wort verstehe von dem, was mir ein Kollege erzählt, liegt entweder daran, dass ich ihm nicht zuhöre oder aber an der Tatsache, dass mir irgend so ein schlecht gecoverter spanischer Gigolo, mit ca. 150dB (Ein neben einem startender Düsenjet schafft knapp 130) seinen unterlegten synthetischen Beat ins Gehirn hämmert, wobei von Musik ebenso wenig die Rede sein kann, wie vom Begriff „hören“. Mein Trommelfell hat die Bar schon längst geschlossen…
Es stellen sich jetzt 2 Fragen, welche ich gerne bereit bin, zu beantworten. Die erste Frage, nach dem erbärmlichen geistigen Zustand meiner Person, kann ich mit „JA“ beantworten, welche Frage Sie auch immer zu stellen gedenken.
Die 2. und wichtigere Frage : Wo befindet sich das Campii gerade ? Und ich nehme an, aus der Information von vorher haben Sie bereits erraten, dass ich mich der dekadenten Spassgesellschaft angeschlossen habe, um für einmal „mittendrin statt nur dabei“ zu sein.
Es hat sich notgedrungen einer Geburtstagsgesellschaft angeschlossen, welche ihr endgültiges Ziel, nach dem branchenüblichen „Vorsaufen“ in einer beliebigen Bar, in einem Irrenhaus allererster Güte nun erreicht hat.
Wenn nicht das, was man hier unverständlicherweise Musik nennt, derart ohrenbetäubend laut wäre, dann würde man sogar sein eigenes Wort verstehen, welches man dem chronisch überlasteten Barkeeper schon zum dritten Mal ins Ohr schreit. Er scheint aber kapiert zu haben, dass es sich um ein einsilbiges Wort mit einem „i“ als Hauptvokal gehandelt haben muss und bringt ein Bier. Dass ich eigentlich Milch bestellt habe, ist natürlich nicht von Belang. Aber er wird Übung im Interpretieren von Getränkenamen haben, da die meisten Leute, die um mich stehen und dem Barmann ihre Bestellungen entgegen schreien, gar nicht mehr richtig sprechen können, es tönt alles nach dem guten alten „Roy-Hodgson-Deutsch“, also eine Mischung aus besoffen und der Selbstverständlichkeit, eine fremde Sprache fliessend zu sprechen.
Nun ja, ich habe mich mittlerweile mit meiner Milch zur „Lounge“ des Geburtstagskindes zurückgekämpft, was nicht übertrieben ist, wenn man bedenkt, dass sich dazwischen die Fläche für alle Freizeit-Epileptiker befindet, welche sich angestrengt zum unüberhörbaren Rhythmus zu bewegen versuchen.
In der Lounge angekommen, Platz genommen und Gedanken notierend, nähert sich unauffällig das Geburtstagskind. Seine einzige Sorge gilt der Nichterwähnung seines Namens in diesem Text. An seinem Geburtstag darf man auch mal solche Probleme haben, das ist nur fair. Aber er hat Glück, denn wen interessierts...
Ein anderes Mitglied der erlesenen Gesellschaft bewegt sich wiederum auf der Tanzfläche genau so, wie man das von einem Jüngling erwartet, der nach 10 Bier, ein paar überteuerten Drinks, noch ein paar Bier und einigen Gläsern Milch immer noch steht… …wankt, aber das fällt niemandem auf, so tanzt man heutzutage.
Während sich das ganze Palastgefolge des heutigen Königs im Getümmel der Massenbalz amüsiert, kann ich von meinem Sessel nicht mehr die Unterschiede zwischen denen erkennen, die sich für den Abend mit handelsüblichen Drogen zugedeckt haben und denen, welche sich dank der Ausschaltung des Gehirns durch die hämmernden Beats im natürlichen Rausche der Hormone und Gefühle befinden.
In der Zwischenzeit räumt der einzige Mann, der sich in dieser Nacht meinen Respekt verdient hat, zum wiederholten Male den Tisch vor mir leer. Er leert leere Aschenbecher, schüttelt volle Milchflaschen und lässt volle Gläser stehen. Er ähnelt mit seiner Körpergrösse, seinem Herumgewusel und seinen Agilität schwer einem Wiesel. Einem vermutlich tauben Wiesel, wenn er das mit der Regelmässigkeit betreibt, mit der er unseren Tisch aufsucht. Umso erstaunlicher, dass das Wiesel von einer Sekunde auf die andere in der Menschenmenge auf und nach getaner Arbeit wieder abtaucht. Orientierung als Schwerstarbeit für ein Wiesel mit seiner Kleinwüchsigkeit.
Der Trancezustand, in dem sich vermutlich die meisten „Tänzer“ und „Tänzerinnen“ befinden wird abrupt durch einen 70-er-Jahre-Orwurm beendet und ufert in einem lauten Geschrei, das wohl signalisieren soll, dass die Tussi-Fraktion den vergammelten, wiederbelebten Hit erkannt hat und sich freut, ihn in ihren Gehörgang aufzunehmen, wo sich solche Dinge für gewöhnlich in unanständigem Masse festkrallen und einem die Melodien noch Tage später in den Ohren liegen. Und bei jedem neuerlichen Hit des Plattenlegers, dieses Gekreische der hysterischen Mädchenwelt, die soeben „IHREN“ Song aus den Viva- und MTV-Charts wiedererkennen…
Mittlerweile wurde ich sogar gefragt, wann ich gedenke, diesen Zoo zu verlassen. Nun, ich hatte mich schon damit abgefunden, dass ich mich wohl still und heimlich zu verdrücken habe, aber das lag jetzt wohl nicht drin. Allein schon mein Gehör freute sich für 2, dass es sich wieder der normalen Geräuschkulisse mit Presslufthammer und Tramquietschen widmen durfte, welch Wohltat. Mit dem Unterschied zu vorher, dass man in normaler Lautstärke Gesprochenes jetzt nicht mehr verstand.
Es bleibt… …ja was denn ? Ein grosses Loch da, wo sich normalerweise ein paar kleine Banknoten befinden, ein noch grösseres Loch im streikenden Trommelfell und, so hoffe ich, ein Loch in meinem Erinnerungsvermögen. Doch damit werde ich heute wohl nicht belohnt. Zu teuer war der nicht vorhandene Alkohol in der Milch.
Die Szenen aus dem tiefgründigen, nahezu poetischen Städtischen Nachtleben seien aber vor allem aus Authentizitätsgründen als Erfolg zu werten, wobei ich mir für die nächste Dokumentation wohl eine Schachtel Ohropax kaufen, und vor allem einen besser bezahlten Job zu suchen habe, um das zu finanzieren.
Mit Faszinierung, einem Lächeln, ein wenig Abscheu und vor allem vom Lärm befreit :
Das Campii, sich aufopfernd für Sie aus dem dekadenten Nachtleben Zürichs.